Geschichte 1. Gründung Der Anstoß zur Gründung der Pietismus-Kommission im Jahre 1964 ging von einem Kreis von Vertretern verschiedener theologischer Schulen aus. Gemeinsam war ihnen die Überzeugung, dass der Pietismus nicht nur eine Gegenbewegung gegen eine angeblich erstarrte Orthodoxie war, sondern mehr und mehr eine eigenständige theologische Bewegung mit einem eigenen gedanklichen Konzept. Initiatoren der Gründung waren: Kurt Aland (1915–1994), Martin Schmidt (1909–1982), Erhard Peschke (1907–1996), Oskar Söhngen (1900–1983), Konrad Gottschick (1913–2012), Gerhard Schäfer (1923–2003). Die Kommission wurde als Modell eines unmittelbaren Engagements von Kirchenleitungen bei einem großen wissenschaftlichen Projekt konzipiert. Durch finanzielle Unterstützung und Abordnung von Persönlichkeiten widmet sich die Kirche der Förderung und Organisation von Wissenschaft. Daher arbeiten in der Kommission Vertreter der Trägereinrichtungen, die zum Teil selber Wissenschaftler sind, mit führenden Forschern auf dem Gebiet des Pietismus zusammen. 2. Konstituierung in Ost und West Die Erforschung des Pietismus konnte sich von vorne herein nicht durch die Grenzen beschränken lassen, wie sie sich nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ergeben hatten. So machte die politische Lage die Bildung von zwei Sektionen notwendig: eine Sektion für den Bereich der Bundesrepublik, eine zweite für den der Deutschen Demokratischen Republik. Trotz dieser aufgezwungenen Teilung verstand die Kommission sich von Anfang an stets als eine einheitliche Größe; bis zum Jahr 1989 war sie eine der wenigen kirchlichen Institutionen, die in ihrer gemeinsamen Arbeit ein Stück deutscher Einheit darstellten und verwirklichten. Die konstituierende Sitzung der Sektion West fand am 6. Juli 1964 in Berlin West statt. Den Vorsitz übernahm Martin Schmidt. Am 14. November 1964 erfolgte die Konstituierung der Sektion Ost mit Erhard Peschke als Vorsitzendem. Die Geschäftsführung lag bei der Kirchenkanzlei der Evangelischen Kirche der Union in Berlin West und Berlin Ost. Bis zum Jahr 1989 waren 14 Landeskirchen aus dem Bereich der Bundesrepublik, die Evang. Kirche der Union, die Evang. Brüder-Unität und der Bund Evang. Freikirchlicher Gemeinden der Kommission beigetreten. Die in der DDR liegenden Landeskirchen konnten aus formalen Gründen nicht Mitglied der Kommission werden; seit 1985 galt die Sektion Ost als Werk des Bundes der Evangelischen Kirchen der DDR. 3. Arbeit über Grenzen hinweg Das Arbeitsprogramm der Kommission konzentrierte sich am Anfang auf die Reihen „Arbeiten zur Geschichte des Pietismus“, „Bibliographie zur Geschichte des Pietismus“ und „Texte zur Geschichte des Pietismus“. Öffentliche Tagungen und wissenschaftliche Symposien mit einem Generalthema aus dem Arbeitsgebiet der Kommission sowie die Herausgabe einer Zeitschrift wurden ins Auge gefasst. Für spezielle Projekte sollten regionale Arbeitsstellen eingerichtet, die Sitzungen mit einem wissenschaftlichen Referat verbunden werden. Die Sektion West konnte die Sektion Ost in mannigfacher Weise unterstützen. Im Jahr 1973 erschien der erste Band von „Pietismus und Neuzeit“, dem „Jahrbuch zur Geschichte des neueren Protestantismus“. Hier kam vor allem die jüngere Forschergeneration zu Wort. Am Ende der Siebziger Jahre war dann auch die Zeit reif, eine umfassende Darstellung des Pietismus anzugehen, die das veraltete Werk von Ritschl ersetzen sollte. Nach intensiven Diskussionen einigte man sich auf die Konzeption eines vierbändigen Werkes; auf drei Bände über einzelne Epochen sollte ein vierter, Motive und Wirkungen des Pietismus behandelnder Band folgen. 4. Neuordnung nach dem Ende der deutschen Teilung Entsprechend der politischen Entwicklung konnten beide Sektionen der Kommission am 6. April 1990 zum ersten Mal zu einer gemeinsamen Sitzung zusammenkommen. Alle weiteren Sitzungen fanden gemeinsam statt. Die 1992 beschlossene neue Ordnung für die Arbeit der Kommission wurde 1998 novelliert. Seitdem stellte sich die Arbeit der Kommission um. Die laufende Arbeit wurde weitgehend in Ausschüsse verlagert, damit die Kommission sich bei ihren jetzt einmal jährlich stattfindenden Vollsitzungen intensiver mit den Perspektiven ihrer Vorhaben befassen kann. Um die Öffentlichkeit in die Arbeit der Kommission einzubeziehen, wurden die Tagungen regelmäßig so durchgeführt, dass sie mit öffentlichen Vorträgen verbunden sind. Zusätzlich zu den öffentlichen Tagungen wurden junge Wissenschaftler, die an Themen aus dem Aufgabengebiet der Kommission arbeiten, zu geschlossenen Arbeitsgesprächen eingeladen. 5. Wirken und Selbstverständnis der Kommission 1999 erschienen erstmals als neue Reihe die „Kleinen Texte des Pietismus“. In ihnen werden wichtige Texte aus der theologischen, frömmigkeitlich-kulturellen und literarischen Tradition des Pietismus in allgemeinverständlich erschlossenen, wissenschaftlich verantworteten Editionen zugänglich gemacht. Dadurch sollen auch interessierte Laien außerhalb der wissenschaftlichen Forschung Zugang zu pietistischen Texten erhalten. Die wohlfeilen Ausgaben eignen sich gut für den Studienbetrieb. Jedes Jahr erscheinen ein bis zwei Hefte. Seit ihrer Gründung im Jahr 1964 hat sich die Kommission neben der Herrnhuter-Forschung und dem nach der „Wende“ gegründeten Interdisziplinären Zentrum für Pietismusforschung der Martin-Luther-Universität in Halle zu einer der wichtigen Koordinationsstellen für die Pietismus-Forschung entwickelt. In ihrer Ordnung formuliert die Kommission zusammenfassend ihre Aufgabe und ihr Ziel (§ 1 b): „Die Kommission will mit ihrer Tätigkeit ein vertieftes Verständnis der Geschichte des Pietismus in seinen unterschiedlichen Gestaltungen und Strömungen sowie in seinen ökumenischen Verbindungen erreichen. Sie widmet sich deshalb der wissenschaftlichen Erforschung des Pietismus einschließlich seiner Auswirkungen auf das kirchliche Leben und sucht deren Ergebnisse zu vermitteln.“